Texte

*Trigger-Hinweis: Im folgenden Abschnitt geht es um den Krieg in der Ukraine und persönliche Fluchterfahrungen*

„Ich bin doch schon aus dem Irak geflohen – wo soll ich denn sonst noch hin?“

Schon vor mehreren Monaten kam dieses Thema beim Kochen mit den Jungs auf, als es plötzlich Schießbefehle auf Demonstrant*innen in Kasachstan gab.

Damals erschien uns das Ganze noch richtig weit entfernt. Und klar, was sagt man auch jemandem, der einem hinsichtlich dieser Erfahrungen bereits in seinen jungen Jahren so weit voraus ist? Erfahrungen, mit denen Ängste einhergehen, die uns fremd waren, fast surreal erschienen. So reagierten wir auch: „Mach dir keine Sorgen, in Europa passiert so etwas nicht.“

Nur wenige Wochen später konfrontieren uns die Nachrichten mit einer Wirklichkeit, die gerade für jüngere, europäische Staatsbürger*innen bis dato unvorstellbar war. Die Geschwindigkeit, in der Überzeugungen, die Jahrzehnte überdauerten, pulverisiert werden, raubt wohl jeder und jedem den Atem. Die Bilder und Berichte sind kaum zu ertragen.

Wie geht es da nur denen, die dieses immense Leid bereits am eigenen Körper erfahren mussten? Nach Europa geflohen sind, um ein sicheres Leben führen zu können? Und Herausforderungen bewältigen mussten, die nun weiteren Millionen geflüchteten Menschen noch bevorstehen?

Wir wünschen uns, dass sie alle nicht vergessen werden. Egal, aus welchem Kriegsgebiet sie Zuflucht suchen oder bereits gefunden haben.

„Wieso darfst du nicht gleich an der Kasse arbeiten? Du sprichst doch die Sprache voll gut.“

Deutsch. Was eine komplizierte Sprache. 

Wenn sich ein Jugendlicher entscheidet, einen Job anzunehmen und sein eigenes Geld zu verdienen, ist das ja schon mal cool. Wird ja auch von vielen erwartet. Aber wie easy ist das eigentlich, wenn man die Sprache gar nicht kann? Einfach, weil man sie als Kind nie gelernt hat? Weil man woanders aufgewachsen ist, und als fast erwachsener Mensch nochmal bei Null anfangen muss? Ganz schön krass. So ist es für viele eben nicht selbstverständlich, irgendwo an einer Kasse arbeiten zu können und Kontakt mit Kund*innen zu haben. Und das, obwohl sie meistens schon echt einiges geleistet und gelernt haben. An einer Kasse zu arbeiten verlangt zweifellos auch einige weitere Fähigkeiten. Aber fließendes Deutsch zu sprechen ist eine davon – und diese verdient Anerkennung. Vielleicht darf der Jugendliche dann, wenn er sich reinhängt und gute Arbeit leistet, irgendwann nicht mehr nur im Hintergrund, sondern unter anderem wegen seiner guten Sprachkenntnisse, auch an einer Kasse arbeiten. An der ihm der direkte Kontakt mit Kund*innen zugetraut wird und ihm, wie anderen Kolleg*innen auch, auf Augenhöhe begegnet wird. 

„Ich hab` schon gar kein Bock mehr Auto zu fahren, weil ich vielleicht in `ne Kontrolle kommen könnte.“

Wie ist das eigentlich, wenn man `nen „Eintrag im System“ hat?

Die Geschichte eines jungen Menschen, der mal echt Scheiße gebaut hat, erzählt das ganz gut. Sozialstunden, Geldstrafe, Reue und ein schlechtes Gewissen. Konsequenzen, die sicher in einigen Fällen gerechtfertigt und notwendig sind. Aber dabei bleibt es ja nicht. Dein Name steht plötzlich überall dort, wo kein Name gern bekannt ist. Zum Beispiel im Polizei-Register, wenn sie deine Daten in einer stinknormalen Verkehrskontrolle einlesen. Und ohne irgendwelche Straftaten entschuldigen, oder die entsprechenden Sanktionen verurteilen zu wollen, ist das, so erzählt der Jugendliche, ein ziemliches scheiß Gefühl. Sich ständig erklären zu müssen, in unzusammenhängenden Situationen immer wieder mit den eigenen Verfehlungen konfrontiert zu werden, laugt aus. Auch er weiß um sein Vergehen, hat Einsicht, zeigt Reue. Weil, auch wenn einem das andere Menschen oft vorwerfen: Das alles geht eben nicht spurlos an einem vorbei. Und auch einem Jugendlichen, der Scheiße baut, ist das nicht einfach egal. 

„Wir wollen gar nicht immer so mit Polizei und so.“

Traumberufe – Damit setzen sich viele Kinder schon auseinander, wenn das erste Freundebuch auf dem Tisch liegt und darauf wartet, dass Interessen, Hobbies oder Vorstellungen von der Zukunft eingetragen werden – egal wie naiv oder realistisch sich diese gestalten. Nun gibt es erwachsene Menschen, die tatsächlich in ihrem Traumberuf arbeiten. Vielleicht hat sich dieser mit der Zeit verändert, vielleicht mussten manche Vorstellungen auch überdacht und angepasst werden. Aber zumindest waren bei den meisten bestimmte Voraussetzungen gegeben, die ihnen erst diese breite Auswahl ermöglichten. Jene Voraussetzungen, die eben nicht für alle selbstverständlich sind. Chancengleichheit – ein großes Wort mit weitreichender Bedeutung. 

Um aber zum Punkt der Geschichte zu diesem Zitat zu kommen: Wir machen uns alle Gedanken um unsere Zukunft. Haben gewisse Vorstellungen, Ziele und Erwartungen an uns selbst. Und auch die, die mal Scheiße bauen, die immer wieder in Konflikte mit dem Gesetz, mit anderen Menschen und auch mit sich selbst geraten, haben Vorstellungen von ihrer Zukunft, die oft ganz anders aussehen soll. Vielleicht wollen sie mal Architekt*in werden, vielleicht KFZ-Mechatroniker*in. Aber allein dafür müssen sie noch so viel schaffen, was anderen bereits in die Wiege gelegt wurde. Integration, die deutsche Sprache, finanzielle Sicherheit, Familie und Kultur (um nur wenige Herausforderungen zu nennen, denen es noch erfolgreich zu begegnen gilt). Was nicht vergessen werden darf: Auch diese jungen Menschen träumen – und das völlig zurecht. Und kaum einer will „immer so mit Polizei undso“. Aber viele Wege sind nun mal anders als andere – und viele Wege sind auch schwerer als andere.